Bestattung als Abschiedsfest – Kinder und der Tod

Martina Plieth, ev. Pfarrerin und Pädagogin und Pfarrer Jürgen Streuer, kath. Kirchengemeinde St. Petronilla, Münster.

Als ihre Mutter starb, wollte die Zweijährige sie unbedingt noch einmal sehen. „Wir haben uns dann zusammen mit ihrem Vater in der Trauerhalle getroffen“, erzählt Jürgen Streuer, Pfarrer der katholischen Kirchengemeinde St. Petronilla in Münster. Mutig trat das Mädchen an den Sarg heran, sah ihre Mutter friedlich darin liegen sehen. Als der Papa ihr erzählte, dass die Mama weggegangen sei, schaute das Mädchen noch einmal in den Sarg und erklärte, dass das nicht sein könne. „Mama hat ihre Handtasche nicht dabei. Mama geht nicht ohne Handtasche weg.“ Punkt.

Wenn der Tod ins Leben tritt, ist nichts mehr so, wie es einmal war. Erwachsene stehen ihm oft hilflos gegenüber, können ihn nicht begreifen. Kinder gehen anders damit um. „Wenn es um die Themen Sterben, Tod und Trauer geht, sind nicht sie die Gehemmten, sondern die Erwachsenen“, berichtet Streuer, der an der Fortbildung „Kitas in der Begegnung mit Sterben, Tod und Trauer begleiten“ des Aktionsprogramms Kita – Lebensort des Glaubens des Bistums Münster teilgenommen hat. „Als die Tochter einen Tag später in den Sarg blickte, hatte ihre Mama die Handtasche dabei. Da war für das Kind klar: meine Mama ist weggegangen. Damit war das Thema für sie erst einmal erledigt und sie hat mit ihrem Fahrrad Runden auf dem Kirchplatz gedreht.“

Viele Eltern wollen ihren Kindern die Konfrontation mit dem Tod ersparen und sie davor schützen. „Der Tod ist erst einmal aber nichts Negatives oder etwas, wovor Kinder beschützt werden müssen. Traurig ja, traurig, dass der geliebte Mensch nicht mehr da ist. Als Christ glaube ich aber auch, dass das Leben nicht zu Ende ist“, bekennt Streuer und plädiert gleichzeitig für einen natürlichen Umgang mit dem Tod. Eltern stellten sich die Frage: was mute ich meinem Kind zu, was kann ich ihm zumuten? „Sie handeln aus einem Beschützerinstinkt heraus. Ich bin überzeugt, dass es gut ist, Kinder mit an den geöffneten Sarg zu nehmen. Sie haben einen Schutzmechanismus, der sie gut mit solchen Situationen umgehen lässt.“

Diese Ansicht teilt auch Pfarrerin und Pädagogin Martina Plieth. „So eine Bestattung ist eigentlich ein wunderbares Abschiedsfest“, erzählt sie im Podcast Kinder, Tod und Trauer des Aktionsprogramms. „Man sollte den Kindern nicht die Möglichkeit nehmen, sich von geliebten Menschen persönlich zu verabschieden. Und sie einfach fragen, ob sie mit zur Beerdigung gehen möchten.“  

Kinder müssen erst lernen zu trauern. „Und das tun sie, indem sie sich an den Erwachsenen orientieren“, so Plieth. Als Professorin an der Evangelischen Hochschule Nürnberg beschäftigt sie sich seit vielen Jahren mit dem Thema Kind und Tod. „Es ist der falsche Weg, als Vater oder Mutter, die eigene Trauer zu unterdrücken.“ „Die Eltern wollen stark sein, nicht vor dem Kind Schwäche zeigen und weinen“, weiß auch Streuer zu berichten. Aber gerade das würde den Kindern in ihrer Trauer helfen, zu sehen, dass auch die Eltern traurig sind: „Sie dürfen vor ihren Kindern und auch gemeinsam mit ihren Kindern weinen.“

„Das Schöne ist, dass Kinder anders an die Sache Tod herangehen, als wir Erwachsenen. Wir sind kopfgesteuert, sehen nur, was fehlt, was wegbricht durch den Tod“, berichtet der Pfarrer aus seiner langjährigen Erfahrung in der Trauerbegleitung. Es brauche den Trauerprozess, um zu realisieren, dass der Verstorbene Teil des Lebens bleibe. „Kinder sehen auch die Härte des Todes, gehen aber leichter damit um, finden für sich leichter Antworten.“ Dabei sei es wichtig, gut zu überlegen, was man dem Kind sage, verdeutlicht Plieth am Beispiel des Satzes: „Die Oma ist friedlich eingeschlafen.“ Wenn das Kind noch kleiner ist, kann man ihm mit einem solchen Satz große Angst einjagen – vor dem eigenen Einschlafen. Denn: der Schlaf bringt dann nach kindlichem Verständnis den Tod. „Und außerdem stimmt dieser Satz nicht: Oma ist nämlich nicht eingeschlafen. Sie wacht nicht wieder auf und kommt auch nicht wieder zurück.“ Die Frage ist also, welche Bilder dem Kind vermittelt werden.

„Kurze, unüberlegte Antworten richten letztendlich mehr Schaden an, als das sie nützen“, weiß auch Streuer zu berichten. „Mama ist gestorben. Sie ist jetzt im Himmel“, das kann man sagen. Für Kinder ist der Himmel auch ein Begriff für Weite. Sie ist bei Gott. In den Gottesdiensten und im Alltag der Kita hätten die Kinder von Gott gehört, ihn als liebevoll kennengelernt, als jemand, der auf die Menschen aufpasst. Auch im Tod. „Das ‚Wie‘ ist dabei gar nicht die Frage. Die Kinder verstehen das mit dem Herzen, der Ort ist dann relativ.“

Der Tod macht auch vor der Kita nicht halt. Streuer rät den Erzieherinnen und Erziehern, sich vorher selbst mit dem Tod auseinandersetzen, für sich selbst eine Antwort zu haben: wie sehe ich den Tod, was hilft mir in der Trauer. „Das macht mich sprachfähig den Kindern gegenüber.“ Die Trauer zeige sich bei den Kindern in der Kita oft im alltäglichen Tun, wenn der Tod plötzlich in Bildern oder Spiel thematisiert wird, das Kind plötzlich anfängt zu weinen. „Auf diese Weise verarbeiten sie das Thema. Kinder können das spielerisch herrlich bearbeiten. Wo wir und schwertun, kriegen die das locker hin. Und wir haben in unseren Kitas eine Kiste zusammengestellt, mit Büchern und anderen Materialien, um sich dem Thema Tod, auch spielerisch, anzunähern.“

Und Plieth rät dazu, „ehrlich zu sein. Denn so ist das manchmal mit existenziellen Fragen. Manches wissen auch Erwachsene nicht.“ Also ehrlich sein, authentisch sein, auch mal sagen können: „Das wüsste ich auch gern. Lass uns doch mal überlegen, ob uns da was Kluges gemeinsam einfällt.“ 

All das trägt dazu bei, dem Tod seine Natürlichkeit zurückzugeben. „Wir ziehen mit dem Sarg von der Kirche zum Friedhof und kommen dabei auch an Kita und Grundschule vorbei“, erzählt Pfarrer Streuer zum Abschluss. „Die Kinder sehen den Sarg und gehen ganz natürlich damit um: „´Ach schau mal, der Pastor bringt wieder einen auf den Friedhof.` Das ist nicht frech gemeint. Die Kinder erleben mich in meiner Rolle, als etwas, das dazugehört. Zum Alltag. Zu uns.“

Den Podcast „Kinder, Tod und Trauer“ mit Pfarrerin und Pädagogin Martina Plieth, sowie alle bisher erschienen Podcasts, finden Sie hier.