Freiraum für Spiritualität

Michael Bönte, kampanile.de

Was ist das eigentlich – Spiritualität? Zahlreiche internationale Spiritualitätsstudien haben in den letzten zehn Jahren belegt, dass Spiritualität naturgegeben ist. Also nicht etwa Etwas, das wir erlernen können. Wir können sie in uns, unserem Alltag, unserer Welt entdecken, weil sie uns geschenkt ist. Spiritualität braucht FreiRaum, um sich zu entfalten. Nach der Spiritualität gesucht wurde vor allem nah am Ursprung: bei den Kindern. So haben die Kinderpsychologin Rebecca Nye und der Zoologe David Hay in Großbritannien herausgefunden, dass es sich beim Kern der kindlichen Spiritualität um ein Beziehungsbewusstsein handelt. Das heißt, ein Bewusstsein über das Eingebundensein in die Schöpfung – selbst ein Teil davon zu sein, durch meine Ich-Du-Wir-Welt-Zeit-Raum- und Gott-Beziehung. Eine nationale Studie der Katholischen Hochschule Nordrhein-Westfalen, Abteilung Paderborn geht noch einen Schritt weiter und zeigt, dass es sich um ein starkes Beziehungsbestreben handelt. Das Kind will existentiell sich selbst entdecken, Freundschaften eingehen und Empathie zeigen, Gemeinschaft erleben, die Natur erkunden, die Zeit verstehen und nach dem Fragen, der alles gemacht hat. „Wenn man das ernst nimmt“, sagt die Theologin Dr. Delia Freudenreich im Erklärvideo zum religionspädagogischen Ansatz Gott im Spiel (www.godlyplay.de), „ist es gerade wichtig, welche Beziehung die Kinder eingehen, zu den anderen Kindern, aber auch zu den Erwachsenen – zu der Art und Weise wie mit ihnen umgegangen wird.“

Nicht umsonst ist es Anliegen des Aktionsprogramms Kita – Lebensort des Glaubens im Kontext der Standortbegleitung und dem Fortbildungsprogramm zu einem bewussten Weg einzuladen:
1. Start beim spirituellen Ich, der eigenen Suche;
2. Stärkung der Gemeinschaft im Team; und dann
3. Blick auf das Kind in der konkreten konzeptionellen und methodischen Praxis.


Denn neben dem, was wir mit den und für die Kinder planen, ist es vor allem unsere Haltung, die bei Kindern ankommt. In kleinen Momenten im Alltag, schon morgens bei der Begrüßung spüren sie, ob wir mit uns selbst in Beziehung oder in schlechter Stimmung sind. Die Kinder fragen: Was bewegt eigentlich dein Herz? Was glaubst eigentlich du? Manchmal ist es genau das, was uns von den Kindern unterscheidet. Es entspricht ihrer Natur, Fragen zu stellen und zu suchen. Sie unterscheiden sich also nicht etwa in ihrer Qualität von Spiritualität oder befinden sich auf einer anderen Stufe. Vielmehr suchen sie aktiv nach Orten, Möglichkeiten, Menschen – einfach Beziehungen – an und in denen ihre Spiritualität Anklang finden kann. Für sie ist es nicht nur okay, sondern wunderbar Suchende zu sein und einen Entwicklungsraum zu haben, in dem sie Vorbilder erleben, Geschichten hören, Lieder singen, Naturerfahrungen machen und auch Stille erleben. Irgendwann werfen Kinder ihren Anker aus, sie gestalten ihre Beziehungen individuell, beheimaten sich und entwickeln ihre persönliche Religiosität. Wenn es soweit ist, hören wir aus dem Kindermund: „Ich glaube …“.

Dies findet dann auch in uns Anklang: „Wenn ich eine biblische Geschichte erzähle, tue ich das nie nur für die Kinder – das ist immer auch etwas für mich!“, erklärt Erzieherin Bianca aus dem Katholischen Familienzentrum St. Joseph in Recklinghausen im Rahmen einer „Gott im SpielFortbildung“. Ihre Berufskollegin Beate aus der Katholischen Kita St. Michael Borken ist tief beeindruckt von einem Jungen. Dieser hat sich bisher stark für Computerspiele interessiert, ist jedoch plötzlich völlig fasziniert von der „David und GoliatErzählung“. Aber nicht so wie wir es erwarten würden: Er fühlt sich zunächst zu Goliat hingezogen – dem Starken. Er lässt sich von keinen Erläuterungen und auch nicht von anderen Kindern davon überzeugen, dass David der Starke und Mutige in der Geschichte ist. Nach wochenlanger Beschäftigung mit dem Thema schwenkt er jedoch um: „Goliat kommt einfach nicht ins nächste Level!“


Während die Spiritualität naturgegeben in jedem Menschen zu finden ist, braucht die Religiosität einen Entwicklungsraum (Begegnungen, Vorbilder und Erfahrungen). Daraus kann der Glaube erwachsen, der oftmals in das Leben einer konkreten Institution (Kirche) oder Konfession eingebunden ist. (Darstellung: Viola M. Fromme-Seifert)

Mein innerer Funke
Wir alle tragen Spiritualität – einen Funken, der sich mit allem verbinden will – in uns und es lohnt, genau hinzuschauen: auf alle wohltuenden Beziehungsmuster in unserem Leben.

Dieser Beitrag der Religionspädagogin Viola Fromme-Seifert stammt aus unserem Newsletter November 2021. Möchten auch Sie den Newsletter zukünftig direkt empfangen? Dann schicken Sie eine Mail mit dem Stichwort "Newsletter" an kita-aktionsprogramm(at)bistum-muenster.de.

► MEDIENTIPP: 
Animationsfilm "Das Kind und der innere Funke - Religiöse Bildung in Kitas"

► METHODENTIPP: 
Die Identitätsblume Nehmen Sie sich fünf Minuten Zeit und geben Sie Ihrer individuellen Identitätsblume Raum zu wachsen. Jedes Blütenblatt stellt Fragen, die zur Selbstreflexion einladen.

ICH: Was zeichnet mich als Menschen aus? Was mag ich an mir? Was macht mich besonders?
KRAFT: Was sind meine Wohlfühlorte, meine Lieblingsmenschen, meine Tankstellen? Was tut mir im Alltag gut?
GLAUBE: Was sind meine Fragen, Gewissheiten und Zweifel? Woran glaube ich? An wen glaube ich? Was macht mir Mut
KIND: Was nehme ich mit zum Kind? Was trägt meinen pädagogischen Alltag? Wie viel zeige ich dem Kind von mir? Wie wichtig ist mir die Beziehung zum Kind?