„Kinder können aufwachsen ohne Religion. Gewiss. Aber welch bereichernde Dimension wird ihnen vorenthalten“, sagt Religionspädagoge Georg Langenhorst von der Universität Augsburg zu Beginn seines Online-Vortrags „Kinder brauchen Religion. Auch und gerade in ´Corona-Zeiten`.“ 130 Teilnehmerinnen und Teilnehmer sitzen gebannt vor ihren Bildschirmen und folgen in der ersten – rein digitalen – Kooperationsveranstaltung vom Aktionsprogramm Kita – Lebensort des Glaubens und der Münsteraner Akademie Franz Hitze Haus den Ausführungen des Professors.
„Kinder haben nicht nur ein Recht auf Religion, sie brauchen sie sogar. Gerade in der heutigen Zeit“, betont Langenhorst. Denn ohne Religion verkümmere eine grundlegende Dimension des Menschseins. Religiöse Erziehung und Bildung könnten dabei helfen, die Herausforderungen des Alltags in Zeiten von Corona besser zu meistern. Auch wenn für viele Kinder Religion im Lockdown nicht angesagt sei: Kindergottesdienste fallen aus. Religionsunterricht ist nicht systemrelevant. Und die Familien sind mit anderen Pflichten mehr als genug eingespannt.
„Dabei ist es gerade jetzt wichtig, Kinder dabei zu unterstützen, ihre Ängste, Sehnsüchte und Fragen zu benennen und auszudrücken. Die Religion kann dafür eine Ausdrucksform sein und den Kindern dabei helfen, ihr Leben zu gestalten“, bricht Langenhorst eine Lanze für die Religion. „Das, was wir in religiöser Erziehung, auch Früherziehung tun, ist etwas massiv Wichtiges für die Kinder, gerade in Zeiten großer Verunsicherung.“
Kinder könnten natürlich ohne Religion aufwachsen, gibt Langenhorst zu. Kinder könnten genau so gut auch ohne Musik aufwachsen. „Aber überlegen Sie mal, was wäre Ihr Leben ohne Musik? Ihre Kindertagesstätte ohne Musik?“, wendet sich der in Hamm geborene Professor direkt an die Erzieherinnen und Erzieher und erklärt: „Das Religiöse ist wie die Musik eine Grund-Dimension des Menschen.“ Ein Blick in die Entwicklungsgeschichte der Menschheit zeige, dass Religion Orientierung gegeben habe, eine rituelle Praxis zum Menschsein dazugehöre – wie Religion und Musik. „Man kann ohne leben, aber beides ist im Menschen angelegt. In beiden geht es um die Wahrnehmung unserer Wirklichkeit, das Empfinden, den Ausdruck und die Gestaltung der Wirklichkeit.
Die Religion gehe aber darüber hinaus: „Es geht um das Erahnen von Möglichkeiten, die unsere Erfahrungswelt übersteigen und so Raum geben für Sehnsucht, Hoffnung und Trost. Einer Möglichkeit, die ich letztlich nicht beweisen kann.“ Wenn die Kinder mit hinein genommen würden in die Möglichkeiten, die Religion biete, dann „geben wir Ihnen Möglichkeit, ihre Umgebung anders wahrzunehmen, anders zu empfinden, sich anders auszudrücken und anders zu gestalten.“ Eine Erweiterung um die Idee der Dimension des Göttlichen.
„Was ist jetzt also das Besondere an einer religiösen Erziehung in Ihren Kindertagesstätten?“, fragt Langenhorst und antwortet gleichzeitig mit einem Zitat des israelischen Religionsphilosophen Martin Buber: „Jeder Mensch hält Ausschau nach einem Menschen, der ihm das Ja des Sein-dürfens zuspricht.“ Einfach gesagt bedeutet das, dass „wir einen anderen Menschen brauchen, weil wir auf dessen Zuspruch angewiesen sind. Den können wir uns nicht selber geben: nämlich das ´Ja`, die Zusage, ´du bist so wie du bist wichtig, du bist da und genau das ist gut`. Bedingungslos.“
Diese bedingungslose Annahme des Menschen, eines jeden Menschen, sei die Ur-Aussage über Gott. „Das ist die eigentliche Wärmestrahlung, den diese Religion auszeichnet, der bedingungslose Zuspruch Gottes. Und ich glaube, dass Kinder diesen Zuspruch gerade in Corona-Zeiten mehr denn je brauchen. Die Kinder brauchen das Gefühl, wahrgenommen zu werden, angesehen zu sein.“
Und das Besondere der Religion sei es, dass „wir das nicht allein tun müssen in unserer Fehlbarkeit, sondern dass Gott die Instanz ist, die uns umfassend sieht und Kindern dieses Vertrauen vermittelt – wenn wir ihnen Gott nicht vorenthalten.“
„Professor Langenhorst hat ein starkes Plädoyer für eine moderne Religionspädagogik in Kita und Pfarrei gehalten“, freut sich Sebastian Schiffmann, Akademie-Dozent und Mitarbeiter im Aktionsprogramm. Auch in Corona-Zeiten muss das Kind als Subjekt im Mittelpunkt der Religionspädagogik stehen. Kinder haben nicht nur ein Recht auf Religion, sondern ´brauchen` sogar Religion. Ohne Religion verkümmert eine grundlegende Dimension des Menschseins.“