„Kinder können aufwachsen ohne Religion. Gewiss. Aber welch bereichernde Dimension wird ihnen vorenthalten“, sagte der digital zugeschaltete Religionspädagoge Georg Langenhorst von der Universität Augsburg zu Beginn seines Online-Vortrags „Kinder brauchen Religion“ zu den 130 Erzieherinnen und Erzieher der katholischen Pfarrei Sankt Martin aus Nottuln, die sich im Bürgerzentrum Hof Schulze Frenking in Appelhülsen versammelt hatten. Erstmalig haben die sechs Kitas der Pfarrei in Zusammenarbeit mit dem Aktionsprogramm Kita – Lebensort des Glaubens des Bistums Münster einen gemeinsamen Fachtag unter dem Motto „Religion & Kind“ veranstaltet.
„Kinder haben nicht nur ein Recht auf Religion, sie brauchen sie sogar. Gerade in der heutigen Zeit“, betonte Langenhorst. Denn ohne Religion verkümmere eine grundlegende Dimension des Menschseins. „Dabei ist es wichtig, Kinder dabei zu unterstützen, ihre Ängste, Sehnsüchte und Fragen zu benennen und auszudrücken. Die Religion kann dafür eine Ausdrucksform sein und den Kindern dabei helfen, ihr Leben zu gestalten“, brach Langenhorst eine Lanze für die Religion. „Das, was wir in religiöser Erziehung, auch Früherziehung tun, ist etwas massiv Wichtiges für die Kinder. Der biblische Gott ist die Macht, die uns ein bedingungsloses ´Ja` zuspricht. Er ist ein Gott, der mich sieht.“ Durch Jesus wurde dieses ´Ja` konkret.
„Ich konnte als Kind nicht glauben, dass Gott alles sieht“, gab Pfarrer und Kreisdechant Norbert Caßens einen Einblick in seine Kindheit. Aber es sei für ihn beruhigend gewesen zu wissen, „dass da jemand ist, der mich im Blick hat und auf mich aufpasst, wenn die Eltern nicht da sind. Es war gut als Kind zu erfahren, dass Gott existiert.“ Er sei über seine Eltern in den Glauben hineingewachsen. „Das war früher selbstverständlicher als heute.“ Daher sah er den Fachtag auch als Chance der „Selbstvergewisserung“. Während die älteren Erziehenden noch selbstverständlich mit dem Glauben aufgewachsen seien, kämen die jüngeren mit „unterschiedlichen religiösen Sozialisationen“ in die Kitas. Caßens sah den Tag daher auch als Chance, dass „eigene Profil zu schärfen“. Wobei er betonte: „Das hier ist keine Missionsveranstaltung.“
„Viele Eltern haben keinen Bezug mehr zum Glauben, zur Kirche. Trotzdem schicken sie ihre Kinder bewusst in eine katholische Kita“, berichtete Petra Breuckmann. „Da ist eine Sehnsucht bei den Eltern“, ist sie sich sicher. „Und bei der brauchen sie Unterstützung. Durch uns“, betonte die Leiterin der St.-Josef-Kita in Appelhülsen. Religion spiele eine wichtige Rolle in der Kita. „Die Kinder fordern das auch ein“, stelle sie immer wieder fest.
Professor Langenhorst beobachte schon länger bei Eltern, „dass diese ihren Kindern die Entscheidung überlassen, später einmal zu entscheiden, ob und an was sie glauben wollen.“ Dabei könne eine Entscheidung nur getroffen werden, wenn man Erfahrungen gesammelt habe. „Nicht im luftleeren Raum. Das Vorenthalten von religiösen Erfahrungen, religiöser Teilhabe kann eine defacto-Entscheidung gegen Religion sein, die Eltern bewusst oder unbewusst für ihre Kinder treffen“, brachte es der in Hamm geborene Religionspädagoge auf den Punkt.
Die heutige Elterngeneration sei nicht mehr mit Religion aufgewachsen, unsicher, wie sie mit diesem Thema umzugehen sollen. „Um die Kinder an Sport heranzuführen muss man selber ja auch kein Spitzensportler sein. Wenn ich selber nicht kompetent bin, vertraue ich meine Kinder Menschen an, die das können. Die Eltern geben die musikalische Früherziehung oder den Sport ja auch ganz selbstverständlich an Experten ab.“ Warum das beim Thema Religion anders sei, dazu hatte Langenhorst eine eigene Idee: „Meine Spiritualität sagt etwas über mich aus. Sie ist etwas Intimes, persönliches. Und vielleicht auch deshalb etwas anderes, das ich nicht outsourcen kann oder will.“
Kinder könnten natürlich auch ohne Religion aufwachsen, gab Professor Langenhorst zu. Kinder könnten genau so gut auch ohne Musik aufwachsen. „Aber überlegen Sie mal, was wäre Ihr Leben ohne Musik? Ihre Kindertagesstätte ohne Musik?“, wandte sich der Religionspädagoge direkt an die Erzieherinnen und Erzieher und erklärte: „Das Religiöse ist wie die Musik eine Ur-Dimension des Menschen.“ Man könne ohne leben, aber beides sei im Menschen angelegt. „In beiden geht es um die Wahrnehmung unserer Wirklichkeit, das Empfinden, den Ausdruck und die Gestaltung der Wirklichkeit.“
„Was ist jetzt also das Besondere an einer religiösen Erziehung in Ihren Kindertagesstätten?“, fragt Langenhorst und antwortet gleichzeitig mit einem Zitat des jüdischen Religionsphilosophen Martin Buber: „Jeder Mensch hält Ausschau nach einem Menschen, der ihm das Ja des Sein-dürfens zuspricht.“ Einfach gesagt bedeutet das, dass „wir einen anderen Menschen brauchen, weil wir auf dessen Zuspruch angewiesen sind. Den können wir uns nicht selber geben: nämlich das ´Ja`, die Zusage, ´du bist so wie du bist wichtig, du bist da und genau das ist gut`. Bedingungslos.“
Diese bedingungslose Annahme des Menschen, eines jeden Menschen, sei die Ur-Aussage über Gott. „Das ist die eigentliche Wärmestrahlung, den diese Religion auszeichnet, der bedingungslose Zuspruch Gottes. Und ich glaube, dass Kinder diesen Zuspruch brauchen. Die Kinder brauchen das Gefühl, wahrgenommen zu werden, angesehen zu sein.“ Wenn die Kinder mit hinein genommen würden in die Möglichkeiten, die Religion biete, dann „geben wir Ihnen Möglichkeit, ihre Umgebung anders wahrzunehmen, anders zu empfinden, sich anders auszudrücken und anders zu gestalten.“ Eine Erweiterung um die Idee der Dimension des Göttlichen. Und das Besondere der Religion sei es, dass „wir das nicht allein tun müssen in unserer Fehlbarkeit, sondern dass Gott die Instanz ist, die uns umfassend sieht und Kindern dieses Vertrauen vermittelt – wenn wir ihnen Gott nicht vorenthalten.“