Die Kinder sind zurück in den Kitas. Statt Notbetreuung ist nun wieder „eingeschränkter Regelbetrieb“ angesagt. Vom gewohnten Alltag aber noch lange keine Spur. Viele Mädchen und Jungen haben ihre Kita-Freunde monatelang nicht gesehen. Das bereitet Eltern, Erzieherinnen und Erziehern, wie auch Ärztinnen und Ärzten große Sorgen. Von gravierenden psycho-sozialen Folgen ist die Rede
„Überraschenderweise überwiegt die Begeisterung darüber, die Spielkameraden wiederzusehen und zurück in der Kita zu sein, alles andere“, freut sich Regina Busch, Kita-Verbundleitung der Pfarrei St. Peter und Paul in Voerde am Niederrhein über das vorherrschende Positiv-Gefühl, das die vier Kitas des Verbundes durchzieht. „Die Tatsache, dass die Kinder in der Kita ihr gewohntes soziales Milieu vorfinden und sie dort das machen können, worauf sie lange Zeit verzichten mussten, das ist für sie das Wichtigste“, ordnet Marius Janßen, leitender Psychologe der Familientagesklinik für Vorschulkinder am Universitätsklinikum Münster die Reaktion der Kinder ein.
„Wir wissen aus der Gesundheitsforschung, dass es Kinder gibt, die über eine höhere psychische Widerstandsfähigkeit verfügen und sich im Allgemeinen an solche Ausnahmesituationen besser anpassen können. Man kann also nicht per se sagen, dass alle jetzt psychisch auffälliger sind.“ Auch wenn er merke, dass vermehrt Kinder in die Klinik kommen würden, die unter den sozialen Einschränkungen sehr leiden.
Regina Busch berichtet von einem Mädchen, das seit Mitte Dezember nicht mehr in der Kita gewesen sei. „Sie ist die ganze Zeit mit ihrem Kuscheltier im Arm herumgelaufen.“ Und als sie vor dem Mittagessen von ihrer Mutter wieder abgeholt werden sollte, „ist sie schnell noch einmal in ihren Gruppenraum gelaufen und hat ihre beste Freundin ganz feste gedrückt.“ So nach dem Motto: Wer weiß, wann wir uns wiedersehen. „Das nimmt einen schon mit.“ Aber die grundsätzliche Angst darüber, wie es wieder anlaufen werde, war unbegründet. „Das war von Anfang an total unkompliziert. Man merkte den Kindern an, dass sie hungrig nach sozialen Kontakten sind und sich freuen, wieder in der Kita zu sein.“ Und auch die Erzieherinnen und Erzieher würden sich riesig freuen, dass die Kinder wieder da seien. „Sie bringen viel Herzblut in ihre Arbeit ein.“
Janßen rät den Pädagoginnen und Pädagogen dazu, das zu tun, was sie am besten können: den Kindern einen Ort der Gemeinschaft und der Geborgenheit zu bieten. Die Kinder würden sofort ihre Freunde suchen und auf ihre Gewohnheiten zurückgreifen. „Als erstes gilt es aufmerksam zu sein und Veränderungen wahrzunehmen. Und es ist wichtig, einen Raum zu öffnen, in dem die Kinder von sich aus das, was sie erleben und beobachten, ansprechen können. Das ist ein ´psychisches Aufräumen`, eine Gelegenheit, die eigene Situation besser zu verstehen und auch emotional besser verarbeiten zu können.“ Kinder hätten ein natürliches Bedürfnis danach, sich mitzuteilen. Verbal oder non-verbal.
„Viele Erzieherinnen erzählen, dass die Kommunikation nochmal einen anderen Stellenwert bekommen hat“, ergänzt Busch. „Gerade geht es darum, miteinander zu reden, um das, was passiert, zu begreifen.“ Corona ist das allbeherrschende Thema. „Die Kinder sprechen darüber mit den Kolleginnen, teilen ihre Sorgen und Ängste mit: ´Was ist Corona? Corona ist doof. Wann geht Corona wieder?`.“ Die Gespräche darüber erhalten beispielsweise im Morgenkreis der jeweiligen Gruppe ausreichend Raum.
„Der morgendliche Sitzkreis bietet sich dazu super an“, ist auch der Psychologe Janßen überzeugt. „Man sollte nicht unterschätzen, dass auch Kinder in sehr frühem Alter schon einen sehr starken Gemeinsinn haben und sich durch die Gemeinschaft getragen fühlen. Und dazu die Erkenntnis, dass es den anderen genauso geht wie mir, dass kann Kinder dabei unterstützen, das Erlebte besser einzuordnen und zu verarbeiten.“
„Wir haben diesen Morgenkreis auch digital angeboten, um zu schauen, wie es den Kindern geht und um mit ihnen in Kontakt zu bleiben“, berichtet die Verbundleitung von der digitalen Offensive ihrer Kitas mit über 200 Kindern. So wurden Geschichten vorgelesen und sich auch mal gegenseitig die Dinosauriersammlung gezeigt. „Als wir kurz vor Weihnachten fragten, ob die Kinder denn schon einen Tannenbaum haben, rannten alle gleich mit Handy oder Tablet in der Hand los, um ihre Bäume zu zeigen“, erzählt Busch lachend. „So lustig die digitale Welt auch ist, nichts ersetzt den persönlichen Kontakt.“ Aber sie trage dazu bei, dass kein Kind das Gefühl haben müsse, sozial isoliert zu sein. „So haben sich zum Beispiel zwei Freunde per Videokonferenz zum Lego-spielen verabredet.“
Für die Erzieherinnen und Erzieher verstärkten diese Erlebnisse die Erkenntnis, „dass die digitale Medienbildung auch schon für die Kleinen als ein wirklich wichtiger Bildungsauftrag zu verstehen ist, dem wir nachgehen wollen. Auch in der Kita. Um zu lernen, Medien sinnvoll zu nutzen und diese nicht nur zu konsumieren.“ Durch Corona sei die Akzeptanz dafür gestiegen. „Als wir das Thema vor der Pandemie bei den Eltern angesprochen haben kam nur zurück: Ihr sollt mit den Kindern Bauklötze spielen und basteln. Das hat sich geändert“, freut sich Busch.
„Wir motivieren Eltern sehr dazu, das mit den Digital-Konferenzen einmal auszuprobieren, auch bei jüngeren Kindern“, betont auch Janßen. „Auch wenn es noch so kurz ist, hat jedes Treffen etwas von ´sozialer Nahrung`, die wir einfach brauchen. Denn wie sich das Eichhörnchen mühsam ernährt, so sind auch kleine Portionen sozialer Nahrung wichtig und sorgen im Alltag dafür, dass wir gestärkt und positiv gestimmt durchs Leben gehen.“ Und was für die Großen gilt, gilt erst recht für die Kleinen.
Den Podcast „Kinder, Corona und die Folgen“ mit Dr. Marius Janßen, dem leitenden Psychologen der Familientagesklinik für Vorschulkinder am Universitätsklinikum Münster finden Sie hier.
Auch Johanna Wewers, Verwaltungsmitarbeiterin im Aktionsproramm und Studentin der Sozialen Arbeit, hat sich im Rahmen ihres Studiums mit dem Thema befasst und ein Referat zu dem Thema "Kinder in der Pandemie" gehalten. Grundlage dafür war ein Text von Monika Platz aus der Zeitschrift Praktische Philosophie Band 7, Heft 2.