Religionspädagogik als Chance, Diversität zu meistern

Marcus Bleimann, Agnes Wuckelt, Eva Hoffmann-Stakelis und Sebastian Schiffmann. (v.l.n.r.)

Mit der Inklusion ist man nie fertig. Vielmehr ist es ein permanentes Aushandeln von inklusiven Werten. Die Vielfalt von Kultur, Sprache, Familienstruktur, Religion und sozialer Herkunft kann in den Kitas als Bereicherung und Chance gesehen werden. Im Idealfall leisten die Kitas durch ein inklusives, pädagogisches Handeln einen großen Beitrag zur Bildungsgerechtigkeit in der Gesellschaft. Der wertschätzende Umgang mit Vielfalt, auch religiöser, stellt die Kitas dabei vor besondere Aufgaben. Der Fachtag „Inklusion, Vielfalt und religiöse Bildung“ des Aktionsprogramms Kita – Lebensort des Glaubens des Bistums Münster ist in der Akademie Franz Hitze Haus der Frage nachgegangen, welchen Beitrag religiöse Bildung zu inklusivem, pädagogischem Handeln in der Kita leisten kann, sowie neue Anregungen für die inklusive Praxis zu erhalten.

„Vielfalt braucht Struktur“, betont die Paderborner Religionspädagogin Agnes Wuckelt, in ihrem Vortrag „Zum Umgang mit Vielfalt und Diversität aus theologischer Perspektive - Inklusive Aspekte einer modernen“. „Wie diese aussehen kann, entscheidet die konkrete Situation vor Ort. Grundsätzlich hat jeder von uns eine subjektive Normaltätsvorstellung, also, ein Bild davon, wie ein Junge, ein Mädchen auszusehen hat. Davon müssen wir uns lösen. Das Kind kann behindert sein, eine andere Hautfarbe haben. Die gleichberechtigte Teilhabe aller ohne Benachteiligung durch Rasse, Religion, soziale Struktur oder Lebenskontext, das versteht man unter Inklusion“, erzählt Wuckelt den über 70 Teilnehmenden der Veranstaltung. Es gelte, jeden Menschen differenziert wahrzunehmen und zu fördern.

„Wir erleben gerade eine radikale Beschleunigung von Zeit, sozialem Wandel und Lebenstempo. Alles scheint sich im Wandel zu befinden: die Geschlechterfrage, das Familienbild. Und auch die Religion verändert sich“, bringt es die Religionspädagogin auf den Punkt. Tradierte Inhalte werden individuell neu konstruiert. Es gebe immer weniger geteilte religiöse Selbstverständlichkeiten. Prozesse des Traditionsabbruchs hätten eingesetzt, kirchliche Bindungen schwänden, die Reichweite kirchlicher Angebote nehme ab. „Gleichzeitig haben wir eine ganz bestimmte Erwartungshaltung an die Kinder von dem, was sie von zuhause mitbringen müssen, wie eine religiöse Vorbildung. Die Realität ist eine andere, die sich in dem Satz ´Sie bringen nichts mehr mit` äußert.“ Die Kinder brächten nichts mehr mit von dem, was ich als Erziehende in der Kita erwarte. „Was ist es denn dann, was wir alles als Kita vermitteln können, vermitteln wollen? In Bezug auf kulturelle Herkunft, Bildung, Werteorientierung? Das ist die Frage, die man sich stellen muss ist“, schreibt Wuckelt den Erziehenden ins Stammbuch.

„Die Tradition wird aufgesprengt durch die Realität der Diversität der Gesellschaft.“ Das gelte es anzuerkennen und dementsprechend zu handeln. „Aufgrund der Gottesebenbildlichkeit ist die Verschiedenheit der Menschen und deren Miteinander Gott gewollt.“ Diese Tatsache gelte es im christlichen Kontext zu deuten. „Das funktioniert aber nur, wenn ich den anderen so sein lassen und akzeptieren kann, wie er oder sie ist. Es ist die Frage der eigenen Haltung.“ Die inklusive Religionspädagogik müsse die Frage nach der Gerechtigkeit aller ins Spiel bringen. „Wenn Gott bunt ist und wir sein Ebenbild sind, dann müssen wir eine Haltung anstreben, die sensibel gegenüber Ausgrenzungsprozessen ist. Eine Haltung, die die Vielfalt akzeptiert, lebt und praktiziert. In der jede und jeder sozialen Kredit erhält und niemand fallen gelassen wird.“

„Mehr als ein Viertel der deutschen Bevölkerung hat einen Migrationshintergrund, das heißt unterschiedlicher Herkunft und Religiosität“, berichtet Kindheitspädagogin Eva Hoffmann-Stakelis von der Fachhochschule Düsseldorf zu Beginn ihres Vortrags „Bildung und Erziehung in Heterogenität und der Beitrag einer religionssensiblen Pädagogik“. Darauf gelte es zu reagieren und es als Bereicherung anzusehen. „Wir fragen bei der Kita-Anmeldung nach Besonderheiten beim Essen. Warum stellen wir im Vorgespräch keine Fragen zur Religion? Zur Praxis der Religionsausübung in der Familie? Dann kann man sich drauf einstellen und gleichzeitig vermitteln, was der Kita in Sachen Religion wichtig ist.“

Es gelte, die Diversität auch im Religiösen wahrzunehmen und zu vermitteln. „Vielleicht ist es eine Idee, eine religiöse Woche zu veranstalten und dabei die Riten und Symbole der unterschiedlichen Religionen darstellen, auslegen und zum Thema machen. Jesus und Maria kommen auch im Koran vor.“ Gleichzeitig könne über das Gebet und dessen Funktion auch im Team nachgedacht werden: Warum beten wir überhaupt in der Kita? „Vielleicht ist es ein Ritual, dass alle kennen und sie ruhig werden lässt.“ Hoffmann-Stakelis macht sich für eine religiöse Begegnung auf Augenhöhe stark. Und dafür, gemeinsame Schätze zu entdecken und zu heben.

„Auf der Fachtagung haben die Referentinnen einen breiten Inklusionsbegriff beschrieben. Es wurde gezeigt, welche Bereicherung die Religionspädagogik für die Entwicklung der Inklusion sein kann. Für das Aktionsprogramm ist dieses Verständnis anschlussfähig“, zog Sebastian Schiffmann, Akademie-Dozent und Mitarbeiter im Aktionsprogramm, ein positives Fazit. Werte, wie sie die Religionspädagogik erlebbar mache, trügen dazu bei, „dass das Zusammenleben in Vielfalt gelingt.“